News Update
September 7, 1987
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Weser Kurier
Die Nazis und die Rindviecher
Spektakulärer Almauftrieb in der Kunsthalle zur Eröffnung der Helnwein-Ausstellung
"Ausstellungsoper", das ist ein Konglomerat von verschiedenen Elementen, von Bildern, Musik, Performance, Spontantheater und Video, die zu einem optisch wie akustisch bedrängenden Medienspektakel zusammenwirkten. Helnwein hat sich mit der gleichermaßen trivialen wie subtilen Ästhetik des Nationalsozialismus beschäftigt und versucht ihre Selbstentlarvung mit ihren eigenen Mitteln, wenn er zum Beispiel die Zuschauer mit dem ideologischen Gedankengut des Nationalsozialismus, etwa der Darstellung der "Gesäßformen der höheren und der niederen Rassen" oder dem deutschen Liedgut der Zeit über fünf Monitore in peinigender Penetranz konfrontiert. Oft sind es nur Wort- und Bildfetzen, die rhythmisch über die Bildschirme hämmern, begleitet von dem dumpf-leisen, zuletzt bis zum Dröhnen gesteigerten Sound der Patchwork-Gruppe, währenddessen vorn auf dem Podium zwei in deutsche Wehrmachtsuniformen gekleidete Köche ein pseudoreligiöses Meßritual zelebrieren. Schluß mit Knalleffekt - dann Stille: Von schwarz geschminkten Soldaten werden über die Treppe fünf Kühe hufdonnernd und hinter sich kleckernd in den Saal gezerrt.
Performance "Der Untermensch"
1987
Selten ist in Bremen ein privat organisiertes Kunstereignis mit größerem Werbeaufwand in Szene gesetzt worden als jetzt am Wochenende die Eröffnung der Ausstellung des ebenso umstrittenen wie international renommierten Wiener Künstlers Gottfried Helnwein, der schon vielfach mit seinen Bildern und Aktionen Anstoß erregt hat. Die Galerie Michael als Initiatorin des Unternehmens hatte schon vorab Presse, Funk und Fernsehen mobilisiert, um dem Auftritt des 1948 geborenen Österreichers die gebührende Resonanz zu verschaffen.
Vormittags Pressekonferenz im Hotel Plaza mit dem Vorstand der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen GmbH, Dr. Christian Eick, unter Hinweis auf zahlreiche Wirtschaftsunternehmen, die als Sponsoren mitgewirkt haben. Durch solche Zusammenarbeit will Uwe Michael erreichen, daß Bremen als Plattform spektakulärer Kunstereignisse mit anderen Großstädten gleichzieht und überregionale Bedeutung gewinnt. Helnwein geht der Ruf voraus, ein Künstler zu sein, der mit seinen Provokationen den empfindlichen Nerv der bürgerlichen Gesellschaft trifft, und sei es nur, indem er fünf leibhaftige Rindviecher in die geheiligten Räume der Kunsthalle traben läßt.
Um jemanden wie Gottfried Helnwein an die Weser zu holen, muß man ihm nicht nur attraktive Ausstellungsräume bieten, wie sie in der neu eingerichteten Galerie Michael und für die großen Formate im Forum Böttcherstraße zur Verfügung stehen. Helnwein bedient sich unterschiedlicher Medien, wie Malerei, Zeichnung, Fotografie, Video, Performance und anderer Ausdrucksmöglichkeiten, so daß für das Eröffnungsprogramm am Sonnabendabend auch der Vortragssaal der Kunsthalle und das Filmtheater Atlantis mit einbezogen wurden. Mit der Eintrittskarte zu 40 Mark konnte man in der Kunsthalle die erstmalige Aufführung seiner "Ausstellungsoper" unter dem Titel "Der Untermensch" erleben, anschließend an der Vernissage der Ausstellung in der Galerie Michael teilnehmen. Außerdem stand die Vorstellung des mehrfach preisgekrönten Fernsehfilms "Helnwein" auf dem Programm und abschließend ein Mitternachtsempfang in den Ausstellungsräumen der Böttcherstraße.
Helnwein hat in der internationalen Kunstszene einen Grad der Berühmtheit und des Berüchtigtseins erreicht, daß er seit einiger Zeit gegen das eigene Image anzugehen versucht. Bekannt geworden ist er durch seine hyperrealistische Malerei, wobei er keinen Unterschied zwischen Kunst und medialer Vermarktung gemacht hat. Seine Prominentenporträts von John F. Kennedy, Gromyko, Peter Alexander bis Beuys und seine oft aggressiv schockierenden Darstellungen zu aktuellen Themen der Zeit fanden als Titelblätter zahlreicher Magazine und Zeitschriften weltweit Verbreitung. Von wenigen Beispielen abgesehen sind in den beiden Ausstellungen neue, ganz anders geartete Arbeiten zu sehen, in denen auf der einen Seite die Malerei sich in freieren Formen der Gestik und abstrakten Figuration geriert, andererseits die Fotografie als Mittel der Selbstinszenierung eine wesentliche Bedeutung gewonnen hat. Beides wird in den großformatigen Werken oft zu Triptychen oder Diptychen arrangiert, indem Helnwein ein bekanntes Bildmotiv, sei es ein Hitler-Foto oder eine Landschaft von Caspar David Friedrich, mit der Selbstdarstellung als Geschundener und Bandagierter und Feldern freier, oft monochromer Malerei kombiniert. Anfangs unbewußt, wie er selbst sagt, steht Helnwein mit diesem Hang zur Selbstverwundung und Selbstzerstörung in der Tradition der österreichischen Aktionisten wie Brus, Rainer, Schwarzkogler und Nitsch.
Schon als Meisterschüler von Rudolf Hausner an der Wiener Akademie hat er seine ersten Erfahrungen mit dem "gesunden Volksempfinden" gemacht, indem seine Bilder in einer Ausstellung mit dem Etikett "Entartete Kunst" überklebt oder von der Polizei beschlagnahmt wurden.
Die Auseinandersetzung mit dem neuen, alten Geist unserer Zeit und der unbewältigten Vergangenheit erscheint als Zentralmotiv seines künstlerischen Bewußtseins. Sie bildete die Grundlage der Ausstellungsoper "Der Untermensch", die er gemeinsam mit dem Schweizer Schriftsteller Tobias Biancone und dem Regisseur Thomas Wördehoff konzipiert hat.
"Ausstellungsoper", das ist ein Konglomerat von verschiedenen Elementen, von Bildern, Musik, Performance, Spontantheater und Video, die zu einem optisch wie akustisch bedrängenden Medienspektakel zusammenwirkten. Helnwein hat sich mit der gleichermaßen trivialen wie subtilen Ästhetik des Nationalsozialismus beschäftigt und versucht ihre Selbstentlarvung mit ihren eigenen Mitteln, wenn er zum Beispiel die Zuschauer mit dem ideologischen Gedankengut des Nationalsozialismus, etwa der Darstellung der "Gesäßformen der höheren und der niederen Rassen" oder dem deutschen Liedgut der Zeit über fünf Monitore in peinigender Penetranz konfrontiert. Oft sind es nur Wort- und Bildfetzen, die rhythmisch über die Bildschirme hämmern, begleitet von dem dumpf-leisen, zuletzt bis zum Dröhnen gesteigerten Sound der Patchwork-Gruppe, währenddessen vorn auf dem Podium zwei in deutsche Wehrmachtsuniformen gekleidete Köche ein pseudoreligiöses Meßritual zelebrieren. Schluß mit Knalleffekt - dann Stille: Von schwarz geschminkten Soldaten werden über die Treppe fünf Kühe hufdonnernd und hinter sich kleckernd in den Saal gezerrt, mit vielem Blitzlicht von allen zur Verfügung stehenden Kameras fotografiert, und wieder hinausgeführt. Ende der Vorstellung.
Rindviecher sind geduldig. Das wußten die Nazis auch. Deshalb vielleicht ihre Vorliebe für eine Malerei, zu deren bevorzugten Motiven Kuhdarstellungen gehörten, die zusammen mit anderem nationalsozialistischem Bildergut heute hoch unter strengem Verschluß und staatlicher Aufsicht in den Depots der Oberfinanzdirektion München aufbewahrt wird. Fünf solcher Kuhbilder konnten für die "Ausstellungsoper" ausgeliehen werden. Weh dem, der Gefallen daran findet!




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